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Teilleistungsstörungen

Wahrnehmung und Wahrnehmungsstörungen

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Lernschwierigkeiten im schulischen Bereich können durch Schwächen in den sog. "Basalen Kompetenzen" bedingt sein, von denen auf dieser Seite die Rede ist. Es handelt sich dabei um grundlegende visuelle und auditive Fähigkeiten, die unabdingbar nötig sind, um im Unterricht mitarbeiten und die gestellten Aufgaben bewältigen zu können.
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Die "Basalen Kompetenzen"

Unsicherheiten in diesen Grundvoraussetzungen des Lernens können bei frühgeborenen Kindern, auch wenn sie über eine Intelligenz im Normbereich verfügen, häufiger auftreten oder diese können länger anhalten als bei den Klassenkameraden.

In vielen Fällen erschweren sie es den Kindern erheblich, sich den zu erlernenden Stoff anzueignen bzw. ihn zu automatisieren. Solche Kinder brauchen bei gleicher Intelligenz mehr Zeit und müssen deutlich mehr Arbeitsleistung investieren als die anderen, um die gleichen Ziele zu erreichen. In herkömmlichen homogenen Lerngruppen geraten sie schnell ins Hintertreffen, wenn ein Lehrgang, der auf zuvor Erlerntem aufbaut, zu schnell fortschreitet.
Individuelle Förderung, zu der die Schulen verpflichtet sind, bedeutet daher auch unbedingt, das individuelle Lerntempo - fördernd und fordernd - zu ermöglichen.

Die hier beschriebenen Schwächen bzw. Störungen in der visuellen und/oder auditiven Wahrnehmung können zum Symptombild eines Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms oder einer Teilleistungstörung gehören. Sie können aber auch einzeln auftreten und die Kinder in ihrem Lernprozess behindern, ohne dass eine ausgewiesene Verhaltens-, Teilleistungs- oder Lernstörung vorliegt.

Im Folgenden werden wichtige "Basale Lernvoraussetzungen" jeweils kurz skizziert, und zwar unter der Fragestellung: Welche Auswirkungen haben Unsicherheiten im jeweiligen Bereich auf den Lernprozess der Kinder? Was ist zu tun oder zu vermeiden, um den Lernprozess der Kinder bestmöglich zu unterstützen?


1. Figur-Grund-Wahrnehmung "Wichtiges erkennen und wiederfinden"

Die visuelle Figur-Grund-Wahrnehmung befähigt dazu, in einem unübersichtlichen Gewirr von Linien oder Zeichen sinnvolle Strukturen (Bilder, Buchstaben, …) zu erkennen. So kann Wichtiges von Unwichtigem unterschieden werden. Die Hauptinformation kann herausgefiltert und die Aufmerksamkeit fokussiert werden.

Diese Fähigkeit ist wichtig, um sich in einem Text, einem Arbeitsblatt oder auf einer Seite zu orientieren und dort bestimmte Wörter, Sätze, Zahlen oder Aufgaben zu finden. Notwendig ist sie ebenfalls, um etwas im Ranzen, der Schublade oder auf dem Schreibtisch zu finden. Auch zur Mengenerfassung trägt die Figur-Grund-Wahrnehmung bei.

Kindern mit Schwächen in diesem Bereich fällt es z.B. schwer, von einer verschmierten Tafel oder von Kopien mit vergrautem Hintergrund abzulesen. Sie brauchen unbedingt gute Kontraste zwischen Schrift und Hintergrund. Darüber hinaus benötigen sie möglichst übersichtlich gestaltete Materialien. Evtl. kann Wichtiges, wie z.B. die Operationszeichen im Rechnen, (verschieden)farbig unterlegt und damit hervorgehoben werden. Die Tafel sollte immer einen sauberen Untergrund haben. Auch ein aufgeräumter Arbeitsplatz hilft, sich zu orientieren.

Die Figur-Grund-Wahrnehmung gibt es auch im akustischen Bereich. Weist ein Kind hier Schwächen auf, kann es "Unterrichtsgeräusche" nicht von Hintergrund- und Störgeräuschen trennen. Eine "kreative Unruhe im Raum", wie sie in Gruppenarbeitsphasen entsteht und gewünscht wird, kann dieses Kind in seiner Arbeitsfähigkeit deutlich behindern. Kinder mit einem solchen Defizit benötigen eine ruhige Arbeitsumgebung, u.U. evtl. sogar einen Ausweichraum, in dem Stillarbeit möglich ist.


2. Optische Gliederung - "Zerlegen und erfassen"

Die Fähigkeit zur optischen Gliederung bedeutet, Ähnlichkeiten von Zeichen erkennen zu können, komplexe Strukturen in Einzelheiten zerlegen zu können sowie Einzelnes in einem großen Ganzen wiederzufinden. Im Schriftspracherwerb bedeutet das z.B., Wörter in Buchstaben zerlegen zu können oder häufige Silben als Ganzes wiederzuerkennen, was die Lesefähigkeit erleichtert. Im Rechnen können so Zahlenkombinationen (mehrstellige Zahlen) erkannt oder Operationszeichen herausgefiltert werden.

Schwächen in der optischen Gliederungsfähigkeit können mit KIM-Spielen gezielt gefördert werden. Eine gute Unterstützung zum Erreichen des Lernziels "Lesefähigkeit" ist auch vorstrukturiertes Material, z.B. Silbenbögen als visuelle Gliederungshilfe unter dem Lesetext. Insgesamt profitieren die Kinder auch hier von zusätzlichen Übungsdurchgängen, die ihnen mehr Zeit zum Einüben der Lerninhalte gewähren.


3. Optische Differenzierung -"Genau hinsehen"

Die Fähigkeit der optischen Differenzierung besteht darin, Unterschiede in ähnlichen Zeichen deutlich erkennen zu können.
Können Kinder ähnliche Buchstaben nicht sicher unterscheiden, müssen sie z.B. beim Lesen erst mühsam verschiedene Kombinationsmöglichkeiten von Lauten ausprobieren, um eine sinnvolle zu finden. Das Lesenlernen wird als anstrengend und permanent frustrierend erlebt, die Motivation schwindet.

Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, kann die optische Differenzierung gezielt trainiert werden, z.B. durch das Bearbeiten von Fehlerbildern, von Bildvergleichen, Spielen von "Schau genau", "Wer ist es?" usw.


4. Visuelle bzw. akustische Serialität -"Merkfähigkeit"

Manche Kinder haben Schwierigkeiten damit, sich Reihenfolgen zu merken. Betrifft es den akustischen Bereich, so bedeutet das, dass das Kind mehrere mündliche Handlungsanweisungen nacheinander nicht behalten kann. Es kann die geforderten Arbeitsschritte dann nicht selbständig ausführen, stockt, hört auf oder schaut ständig beim Nachbarn. Es fällt ihm z.B. schwer, Sätze zu bilden oder Wörter zu erlesen, weil es in der Mitte der Aufgabe schon das am Anfang Erarbeitete vergessen hat und nicht mehr darauf zurückgreifen kann.

Ein solches Kind braucht deutlich mehr Übezeit, um z.B. die Lesefähigkeit zu automatisieren. Arbeitsaufträge und Handlungsanweisungen sollten immer möglichst kurz formuliert und klar verständlich sein.

Zudem sollten sie mehrmals wiederholt oder deutlich sichtbar (z.B. an der Tafel) notiert werden.
Ist eher der visuelle Bereich betroffen, bedeutet das eine Einschränkung der eigenen Handlungsplanung, da die Kinder sich die Abfolge einzelner Arbeitsschritte schwer merken können. Beim Schreiben bereitet die genaue Abfolge der Buchstaben Schwierigkeiten, beim Rechnen die Abfolge von mehreren Rechenschritten. Zahlen- oder Buchstabendreher sind häufig. Hier kann es hilfreich sein, dem Kind zu erlauben bzw. es anzuleiten, sich Zwischenschritte zu notieren. Bei der Aufgabenstellung können mehrere verschiedene Sinneskanäle angesprochen werden. Zeitweise kann eine kleinschrittigere Betreuung für das Kind erforderlich sein, um das Ausführen der Lernschritte einzuüben und damit den jeweiligen Lerninhalt zu festigen.


5. Raum-Lage-Wahrnehmung -"Sich zurechtfinden"

Für das Arbeiten mit Schrift- und Zahlzeichen ist es wichtig, dass die Kinder sich in den Dimensionen links-rechts und oben-unten gut orientieren können. Ist dies nicht der Fall, werden z.B. die Buchstaben d, b, q und p oder Zeichenfolgen wie ei – ie nicht als unterschiedlich erkannt.

Vor allem das Lesenlernen wird dadurch erschwert, da die Kinder auch hier aus mehreren eventuellen Bedeutungen der Zeichen erst die sinnvolle "erraten" müssen. Lesen wird als ständige Anstrengung erlebt, eine Lust am eigenständigen Lesen stellt sich durch diese permanente Frustration nicht ein. Währenddessen erweitern jedoch die Mitschüler, die Spaß am eigenen Erlesen von Texten gefunden haben, dadurch ihre Fertigkeiten auf den Gebieten Lesegeschwindigkeit, Wortschatz, Ausdrucksfähigkeit, Textaufbau, Einprägen der Wortgestalt und Rechtschreibfähigkeit beträchtlich.

Kindern mit Schwierigkeiten in der Raum-Lage-Wahrnehmung fällt es schwer, beim Schreiben die Zeile zu halten sowie sich in den Zeilen und Spalten von Tabellen zurechtzufinden. Anweisungen zur Einteilung eines karierten Blattes z.B. können nur schwer umgesetzt werden. Über Gebühr lange wird spiegelbildlich geschrieben.

Abschreiben gelingt nur mühsam und zeitraubend, da die Kinder sich beim Hin- und Herschauen zwischen Textquelle und Heft schlecht orientieren können und oft den Faden verlieren.

Daher sollten für diese Schüler Abschreibübungen und Tabellen nur sehr dosiert und gezielt eingesetzt werden, um zu verhindern, dass die Kinder sich auf dem Lernweg verlieren und dadurch den eigentlichen Lernstoff nicht ausreichend bearbeiten. Schablonen, Lesefenster o.ä. können die Schüler/innen in ihrer Orientierung hilfreich unterstützen.


6. Auswirkungen auf den Lernprozess und die Motivation der Kinder - "Spaß am Lernen"

Probleme oder Schwächen in einzelnen Wahrnehmungsbereichen führen unweigerlich dazu, dass die betroffenen Kinder deutlich mehr Zeit benötigen, um sich dieselben Fertigkeiten wie ihre Klassenkameraden anzueignen. Zudem wenden sie auch erheblich mehr Energie auf, weil sie auf dem Lernweg die oben genannten Stolpersteine zusätzlich zum eigentlichen Lerninhalt zu bewältigen haben. Manche Kinder müssen darüber hinaus noch Energie darauf verwenden, Wahrnehmungsschwierigkeiten aus den Bereichen Körpereigenwahrnehmung, Gleichgewicht oder Muskelspannung zu kompensieren, sodass ihnen im Vergleich zu ihren Mitschülern nur ein eingeschränktes Energiepotential für den eigentlichen Lernprozess zur Verfügung steht.

Die Kinder merken selbst oft sehr genau, dass sie sich mehr anstrengen als die anderen und dennoch weniger erreichen. Ihre Motivation und ihr Selbstbewusstsein leiden, eine Abwärtsspirale entsteht. Um diese fatale Tendenz zu durchbrechen, ist es so außerordentlich wichtig, die Kinder zu beobachten, um eventuellen Lernhemmnissen baldigst auf die Spur zu kommen und adäquat reagieren zu können.
Unüberwindbare Stolperfallen auf dem individuellen Lernweg können und müssen vermieden werden.
Gerade Kinder, die durch anfängliche Misserfolge verunsichert wurden, müssen durch schneller erreichbare Erfolgserlebnisse wieder gestärkt werden, um neues Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufzubauen und ihr kognitives Potential trotz der vorhandenen Wahrnehmungsschwächen ausschöpfen zu können.


7. Verhaltens- und Teilleistungsstörungen - "Wenn's lange schwierig bleibt"

Wenn deutliche Schwächen in mehreren Bereichen der Wahrnehmung gleichzeitig vorhanden sind und über einen langen Zeitraum trotz guter Förderung anhalten, sollte in jedem Fall überprüft werden, ob eine diagnostizierbare Verhaltens- oder Teilleistungsstörung wie >AD(H)S (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom),  >Lese-Rechtschreib-Schwäche oder >Dyskalkulie (Rechenschwäche) vorliegt.

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